Zum Verlag Liber Libri

Das Programm

Die AutorInnen

Termine / Veranstaltungen

Kontakt / Weitere Informationen

Presse
Im Verlag Liber Libri können wir zeigen, dass es in diesen für Verlage und Buchhandlungen wirtschaftlich nicht ganz einfachen Zeiten doch noch möglich ist, auch Erstlingswerke in einer ansprechenden Form zu veröffentlichen, ungewöhnliche Biographien zu publizieren und Sach- und Fachbücher einer interessierten Leserschaft vorzustellen. Verfasst werden diese Bücher von unseren engagierten Autorinnen und Autoren, und einige ermutigen Sie hier zu einem Blick auf des Leben hinter ihrer schriftstellerischen Tätigkeit

Foto von Mag. Traude Litzka, Autorin des Verlags Liber Libri Wien

Mag. Traude Litzka

Mag. Traude Litzka

Traude Litzka ist eine engagierte Frau, die sich selbst nicht gerne in den Vordergrund stellt. Sie schildert ihr Leben als „ziemlich ruhig“, sie ist „mit Lebensberatung, Dissertation und der lieben Familie beschäftigt, und das alles ist nichts Spektakuläres“.
Auf Ihren vielen Reisen macht sie die verschiedensten Erfahrungen und schildert ihre Begegnungen mit ungewöhnlichen Menschen. Dabei gewährt sie uns einen Blick in ihr Leben sowie z. B. in dem nachfolgenden Textauszug aus ihrer „Dienstreise“ nach Jerusalem.

 

Auszug aus „Die Dienstreise. Eine wundersame Fahrt durch Israel“

Hupen befreit! – Erste Begegnung mit Maria – Meine Äpfel, deine Äpfel

Die Strecke von Tel Aviv nach Jerusalem ist nicht allzu lang, maximal eine Autostunde, trotzdem brauche ich länger als vorgesehen. Noch in Tel Aviv habe ich mich zweimal verfahren und wie mich kenne, wird das sicher noch einige Male geschehen.
Ich fahre gerne mit dem Auto, am liebsten aber Strecken, die ich gut kenne. Da weiß ich, welche Richtung ich zu nehmen habe und wo ich abbiegen muss. Hier ist alles fremd für mich und Hupkonzerte der nachkommenden Autofahrer verfolgen mich. Sei es, dass ich an einer Kreuzung zu lange überlege und nicht gleich mit Vollgas lospresche, wenn die Ampel auf Grün umspringt, sei es, dass ich nicht sofort rechts zur Seite fahre, wenn mich jemand überholen will. Überhaupt, gehupt wird gern, viel und lang anhaltend in Israel. Selbst, wenn die Ampel noch auf Rot steht, wird der vorderste Autofahrer schon von den nächsten angehupt. Präventiv sozusagen.
Ich greife vor, aber ich muss sagen, dass ich am Ende meiner Reise in dieser Beziehung zu einer echten Israelin geworden bin. Hupen befreit! Von Ungeduld, von Aggressionen, von Nervosität. Ich bin eine begeisterte Huperin geworden und jetzt, zurück in Wien, leide ich an Entzugserscheinungen.

Bei einer Bushaltestelle an der Ausfahrt von Tel Aviv steht eine Frau, die einen Rucksack neben sich gestellt hat. Knapp vor der Haltestelle bleibe ich stehen, um noch einmal einen Blick auf die Straßenkarte zu werfen.
„Kann ich nach Jerusalem mitfahren?“
Ich habe sie gar nicht kommen gehört, aber sie steht vor mir und blickt mich fragend an. Normalerweise nehme ich nie Fremde im Auto mit. Zwar sieht diese Frau nicht wie eine Terroristin oder sonst gefährlich aus, aber man kann nie wissen.
Trotzdem sage ich ja, ich weiß selbst nicht warum.
Erst später fällt mir auf, dass sie Deutsch mit mir spricht und annimmt, dass ich nach Jerusalem fahre. Außerdem kommt mir ihre Stimme bekannt vor, ich muss sie schon einmal gehört haben.
Ich komme aber nicht dazu, lange darüber nachzudenken, denn soeben erreicht mich ein Anruf von zu Hause.
„Hallo Mama, ich wollte nur schauen wie es dir geht.“ Es ist meine Tochter Edith und ihre Stimme klingt jämmerlich. Soll ich darauf eingehen und sie fragen, was mit ihr los ist? Oder mich nur bei ihr für ihr Interesse bedanken? Meine gute Seite siegt und so lasse ich mir erzählen, wie fürchterlich sie sich im Büro ärgern musste und dass sie spürt, dass sie eine Grippe bekommt. Sicher hat sie Fieber. Aber sie kann sich ja nicht ins Bett legen und auskurieren, denn wer sollte dann auf die Kleine aufpassen. Außerdem will mir Anna unbedingt ein Bussi schicken. Es tönen verschiedene Schmatzer in meinem Ohr, ein „Hallo Oma, wann kommst du wieder?“ und noch ein paar Schmatzer, die ich meinerseits schmatzend erwidere. Dann ist Funkstille. Dieses „wann kommst du wieder“ hat sicherlich meine Tochter ihrem Kind beigebracht, denke ich. Es soll wohl in den tiefsten Tiefen meiner rohen Seele so etwas wie schlechtes Gewissen erzeugen. Meistens funktionieren diese Tricks auch, denn so abgefeimt bin ich wieder nicht, dass diese zarte Kinderstimme, unterstützt von einigen tropfnassen Küssen, nicht ihre Wirkung auf mich verfehlt.
Auf gut Deutsch heißt das: „Großmutter, sei nicht so egoistisch und komm endlich heim!“
Heute aber habe ich meinen harten Tag, das heißt, nicht der Tag ist hart, sondern ich habe mein sonst so zart besaitetes Seelchen gut verwahrt und hinter eine Stahltüre gesperrt.

In der Zwischenzeit hat die Fremde schon ihr Gepäck auf den Rücksitz gestellt und es sich neben mir bequem gemacht. Mein Brillenetui und einen Papiersack mit Äpfeln, die am Beifahrersitz waren, hat sie kurzerhand neben ihren Rucksack nach hinten geräumt.
Zuerst bin ich ob solcher Eigenmächtigkeiten empört und nenne diese Person innerlich „unverschämt“. Aber sie lächelt mich an und sagt mit größter Selbstverständlichkeit: „Also, wir können fahren.“
Ihr Lächeln ist entwaffnend und ihre Fröhlichkeit ansteckend. Auch ich lasse mich jetzt zu einem Lächeln herab und gebe Gas.
„Wohin wollen Sie fahren?“, frage ich sie.
„Möglichst bis zum Zentrum von Jerusalem, zur Altstadt. Aber wir können ruhig du zueinander sagen, ich heiße Maria.“
Schon wieder so ein Übergriff, muss ich denken, ich kenne sie doch erst seit zwei Minuten.
„Angenehm“, murmle ich, „Eva“.
Eine Zeit lang wird geschwiegen und ich mustere sie aus den Augenwinkeln. An ihrem Äußeren ist nichts Besonderes. Ihre dunklen langen Haare sind aufgesteckt und betonen ihr ebenmäßiges Profil. Ihr Alter ist schwer zu erraten, sie ist der Typ, der sein Aussehen auch in älteren Jahren beibehält. Sie trägt Jeans und ein Shirt und hat um die Hüften einen roten Pullover gebunden. Wie gesagt, es ist nichts Besonderes an ihr, außer an ihren Augen. Aber das werde ich erst später merken, denn jetzt schaut sie etwas angespannt aus dem Auto und so kann ich sie nicht sehen.
Endlich bin ich auf der Autobahn angekommen und gebe Gas. Marias Hände klammern sich am Haltegriff der Tür fest und ich merke, wie ihre Beine sich krampfhaft gegen den Boden stemmen.
„Was ist los“, frage ich, „fahre ich zu schnell?“
Eine gewisse Schadenfreude hat sich in mir breit gemacht, trotzdem nehme ich meinen Fuß ein wenig vom Gaspedal.
„Ich bin das Autofahren nicht gewöhnt, das heißt, ich fahre nicht oft, beziehungsweise nie.“
An wen bin ich da geraten, frage ich mich. Normalerweise fahre ich den meisten zu langsam, mein lieber Mann würde wahnsinnig werden, wenn er bei dem lahmen Tempo neben mir sitzen müsste.
Sie schaut mich an und jetzt sehe ich das erste Mal bewusst in ihre Augen. Obwohl sie etwas verängstigt blicken, ist ein eigenartiges Leuchten in ihnen, das mich seltsam berührt.
Irgendwie schäme ich mich fast ob meiner Schadenfreude und trete auf die Bremse. Auf der äußersten Spur, im Schleichtempo geht es weiter und ich überschlage im Geist, wie viele Stunden wir bis an unser Ziel brauchen werden.
Die Autos zischen an uns vorbei, begleitet vom üblichen Hupkonzert.
„Warum gestikulieren die Fahrer ständig mit ihren Händen, warum hupen sie?“
„Weil ich ihnen zu langsam fahre. Wir halten sie auf.“
„Warum fährst du auch so langsam. Es wird ewig dauern, bis wir in Jerusalem sind.“
Mir verschlägt es die Sprache. So etwas habe ich nicht erwartet. Wegen dieser Person schleiche ich dahin und dann das!
Wutentbrannt gebe ich Gas. Na warte, denke ich. Du wirst schon sehen.
Ich überhole, fahre auf die Überholspur, lasse, so weit mein Auto es zulässt, die anderen Fahrzeuge hinter uns.
Aus den Augenwinkeln sehe ich meine Beifahrerin an und erwarte mir ein bleiches, vor Schreck verzerrtes Gesicht. Aber nichts dergleichen! Sie strahlt und sieht begeistert den überholten Wagen hinterher.
„Herrlich“, ruft sie, „ich habe gar nicht gewusst, wie viel Spaß das Autofahren machen kann!“
„Ich dachte, du fürchtest dich vor der Geschwindigkeit.“
„Nur am Anfang, bis ich mich daran gewöhnt habe. Es ist fast so als ob man fliegt. Ein wunderbares Gefühl.“
Sie greift nach hinten und holt einen Apfel aus meinem Beutel.
„Willst du einen Apfel essen?“, fragt sie mich.
Irgendwie hat sich die Situation für mich geändert. Ich ärgere mich nicht mehr, sondern finde es fast selbstverständlich, dass sie mir meinen Apfel anbietet.
Ich lehne dankend ab und sie legt den Apfel wieder zurück. Sie selbst, sagt sie, isst nie Äpfel.
Mittlerweile nähern wir uns Jerusalem. Die letzten Sonnenstrahlen fallen auf das steinerne Häusermeer. Maria kann es nicht fassen, dass Jerusalem so groß ist. Immer wieder murmelt sie: „Das habe ich nicht gewusst, da hat sich viel verändert.“
„Wann warst du denn das letzte Mal hier?“, frage ich verwundert. „Ich habe gedacht, dass du in Jerusalem zu Hause bist.“
„Ich habe immer nur kurz in Jerusalem gewohnt und das letzte Mal ist schon lange her. Sehr lange her“, fügt sie noch hinzu.
Das muss aber wirklich schon sehr lange sein, wenn sie über die Größe der Stadt so verwundert ist. Aber so alt ist sie doch noch nicht, überlege ich noch, werde aber vom Verkehrschaos abgelenkt.
Jerusalem, so wurde mir einmal gesagt, ist für Autofahrer die Hölle, aber ich kann, so wie noch jedes Mal, auch jetzt unbeschadet diese Hölle durchqueren und sogar die Orientierung behalten.
„Wo soll ich dich absetzen?“, frage ich Maria und fast tut es mir leid, dass wir uns gleich wieder trennen werden.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen sagt sie: „Sei nicht traurig, wir werden uns sicher bald wieder begegnen.“
Bei einer Kreuzung nahe der Altstadt will sie aussteigen. Unbekümmert geht sie, trotz roter Ampel, über die Straße, winkt mir noch einmal zu und verschwindet um die nächste Ecke.